Sektion II: Erzählen nach der Postmoderne

Die Krise der Moderne geht – so Jean-François Lyotard – mit einer Ablösung von den großen sinnstiftenden Erzählungen einher. Erkenntnisskepsis und das Schwinden authentischer Erfahrung münden in eine Repräsentationskrise und führen letztlich zu einer Problematisierung des Erzählens; Realität wird zur Simulation. Während die moderne Literatur spezifische Strategien der narrativen Krisenbewältigung entwirft, löst sich die Postmoderne von der ‘Ästhetik der Negation’ und beginnt ein fröhliches Spiel mit den Traditionen. Literatur fungiert nicht mehr länger als Sinnfindungsinstanz, sondern vielmehr als Experimentierfeld. Betrachtet man die gegenwärtige Literatur der sog. ‘Jungen Generation’, lassen sich einige interessante Tendenzen feststellen: Offensichtlich handelt es sich um eine Literatur, die wieder auf die Suche nach dem Subjekt geht und die Indifferenz der Postmoderne als Mangel erfährt. Wie in der Postmoderne wird durchaus auf tradierte Formen des Erzählens zurückgegriffen – eine Häufung novellistischer Merkmale ist auffällig – allerdings wieder mit einem existenziellen Anspruch auf Erfahrungsvermittlung. Mediale Komponenten werden nicht mehr länger als Spielmaterial verstanden, sondern als spezifischer Bestandteil der Lebenswelt. Darüber hinaus lassen sich auch Bezüge zur Moderne feststellen: Es existiert ein Verlustbewusstsein und eine daraus resultierende Melancholie, die allerdings einer Neubewertung unterworfen ist. Das Sinnzentrum ist nur noch als Leerstelle verfügbar, woraus spezifische Strategien erwachsen, wie etwa eine Rückkehr zu mythischen Erzählweisen. Ferner ist die Stärkung des Erzählers zu nennen, der sich für die Authentizität des Erzählten zu verbürgen scheint. Zusammen genommen führen diese Punkte zu der Annahme, dass Elemente wie Schönheit und Authentizität erneut zu Fundamenten des Textes werden und in den Schreibprozess selbst verlagert werden. Sinn wird nicht mehr länger außerhalb des Textes gesucht, sondern im Text selbst verankert. Erzählen wird somit wieder zu einem Ereignis. Aus den oben genannten Punkten ergeben sich eine Reihe notwendiger Fragestellungen, die in einzelnen Arbeitsgruppen intensiver erarbeitet werden müssten, um dann in einem zweiten Schritt mit anderen Sektionen verknüpft werden zu können. Hier einige Beispiele:

Themenkomplexe

  • Die Untersuchung medialer Erzählkomponenten in der Literatur der Gegenwart (neben den seit der Moderne Eingang findenden filmischen Techniken: Auswirkung massenmedialer Phänomene und Strukturveränderungen durch digitale Medien – Internet)
  • Nach dem Feminismus: Fragen des geschlechterspezifischen Erzählens
  • Wiederbelebung traditioneller Formen des Erzählens
  • Mythische Erzählweisen
  • Neubewertung des Melancholiediskurses
  • Frage nach der Autorschaft (Autorpluralität, Starkult etc.)
  • Musikalische Elemente in der Literatur der Gegenwart (auch Popkultur)
  • Neubewertung der Intertextualität
  • spezifische Strategien der Bildlichkeit in einer dominant visualisierten Kultur

Ansprechpartner

  • Prof. Dr. Christine Lubkoll

Dr. Stephanie Waldow