Sektion VII: Der Zusammenhang von Disparitätseindrücken und der Zirkulation von Literatur in nichteuropäischen Sprachen

Die Literatur der Gegenwart vieler asiatischer und afrikanischer Länder bringt europäische oder westliche Leser häufig dazu, Vergleiche mit Werken ihrer eigenen Kultur anzustellen. Dabei kommt es selbst bei Personen, die die Werke im Original lesen, oft zu einem Eindruck von Disparität, die zum Beispiel mit kultureller Andersartigkeit, der Ungleichzeitigkeit literarischer Entwicklungen, sprachlicher Eigenheiten oder gar offen eurozentrisch mit kultureller Rückständigkeit erklärt wird. Andere Leser stellen sich hingegen die berechtigte Frage, ob denn die bei einem solchen Vergleich angelegten Maßstäbe für die betreffende Literatur überhaupt Geltung beanspruchen können. Die Sektion unternimmt den Versuch, verschiedene Faktoren zu beschreiben, die bei solchen Disparitätserfahrungen bei der Lektüre von Werken in außereuropäischen Sprachen oder deren Übersetzungen eine Rolle spielen. Dabei ist zunächst zu beachten, dass mit Ausnahme von Kulturen mit rein oraler Tradition viele dieser Kulturen nichteuropäischer Sprachen in ihrer Geschichte literarische Werke hervorgebracht haben, bei deren Lektüre kein Eindruck einer Disparität entsteht. Lässt sich demzufolge diese empfundene Unterschiedlichkeit auf bestimmte historische-, politische- und ökonomische- Bedingungen oder auf ungleichzeitige Entwicklungsverläufe zurückführen? Oder, geht sie gar auf Einflüsse kolonialer Fremdherrschaft zurück, die – einigen post-kolonialen Theoretikern zur Folge – zur Durchsetzung ihrer Macht den Kulturen ihre eigene Sprache und ihre Ausdrucksformen nahm? Oder, rufen eher im Schreiben zum Ausdruck kommende kulturelle Eigenheiten und letztlich unüberwindbare Wissenslücken auf Seiten des westlichen Lesers ein Defizitempfinden hervor? Der zweite Begriff der Zirkulation verweist in diesem Zusammenhang noch auf einen anderen Aspekt. Zunächst pragmatisch auf die Frage, welcher Art von nicht europäisch sprachlicher Literatur es aus welchen Gründen überhaupt gelingt, in unseren Buchläden in Übersetzung verfügbar zu sein. Und systematisch in dem Sinn, welche Instanzen hier und dort bestimmen, welche Literatur zirkuliert wird? Hierunter fällt auch die Frage der Rolle von Exilautoren in der Verbreitung der Literatur ihre Landes und der Wahrnehmung und Beurteilung ihrer Werke in ihrer ehemaligen Heimat. So nehmen arabische Exilliteraten vielfach eine Vorreiterrolle in dem Sinne ein, dass ihr eigenes literarisches Schaffen die Literatur ihrer Länder beeinflusst und fördert. Dagegen ist die Rückwirkung chinesischer Exilautoren kaum wahrnehmbar, auch wenn ihre Werke in China zugänglich sind. Die Gegenwartsliteratur der VR China befindet sich derzeit immer noch in einem Prozess der Entideologisierung und des catch-up, den chinesische Literaten – zumindest im persönlichen Gespräch – auch konstatieren würden. Parallel dazu erhält der chinesische Autor Gao Xingjian den Literaturnobelpreis. Ist die Wertschätzung des Werkes Gaos durch dessen große Neigung und Kenntnis französischer Literatur erklärbar? Oder sind es andere Gründe, die das Erscheinen und die Wahrnehmung von Werken in außereuropäischen Sprachen im Westen bestimmen?

Themenkomplexe

  • Kulturelle Bedingtheit von Maßstäben für die Beurteilung von Literatur
  • Kulturelle Bindung literarischen Schaffens
  • Zirkulationsweisen und Leserinteressen
  • Disparität als literarisches Thema
  • Literarische Entfaltungsmöglichkeiten unter Bedingungen von Zensur
  • Ursachen literarischer Beurteilung
  • Die Wirkung von Exilliteraten auf die eigene und die fremde literarische Kultur
  • Ansprechpartner:
  • Dr. Claudia Ott
  • Dr. Michael Schimmelpfennig
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